Rechtliche Auswirkungen von COVID-19: "Man sollte den Worst Case durchdenken”
Zum Abschluss unserer Impact-Serie werfen wir einen Blick auf einen schwer durchschaubaren und den vermutlich komplexesten Bereich: die rechtlichen Gefahren für Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie. Wir baten Fachanwalt Dr. Christian Herbert um Orientierungshilfe.

Schadenersatzforderungen von Mitarbeitern, die sich nicht ausreichend geschützt sehen, rechtliche Streitereien mit Betriebsausfallversicherungen, Auseinandersetzungen durch nicht erfüllte Verträge … die Corona-Pandemie stellt Unternehmen auch juristisch vor zahlreiche Herausforderungen, die schmerzhaft und existenzbedrohend werden können.
Wir wollten daher wissen, wie ein Rechtsexperte die Entwicklungen der letzten Monate bewertet und sprachen mit Dr. Christian Herbert, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Internationales Wirtschaftsrecht in der Kanzlei Gréus in Heidelberg.

KINEXON: Herr Dr. Herbert, wie beurteilen Sie die bisherigen Schutzmaßnahmen in Unternehmen aus juristischer Perspektive? Wo beobachten Sie Handlungsbedarf?
Dr. Herbert: Ich berate viele große Produktionsbetriebe am Industriestandort Mannheim. Während des Lockdowns stand die Produktion still. Die angestellten Mitarbeiter wurden in „Kurzarbeit Null“ geschickt.
Probleme mit adäquaten Schutzmaßnahmen stellten sich daher erstmal nicht. Anders sah es mit Werkvertragsmitarbeitern im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung aus. Hier kam es zu einigen schwierigen Rechtsfragen hinsichtlich Vergütung und Ansprüchen, die bis heute nicht geklärt sind.
Ein weiteres großes rechtliches Problem: Ein Werkvertragsmitarbeiter unterliegt formal gesehen keinen Weisungen des Unternehmens, in dem er arbeitet. Er kann somit nicht zur Einhaltung von Schutzmaßnahmen gezwungen werden. Allenfalls kann er vom Werksgelände verwiesen werden, wenn er sich nicht an die geforderten Schutzmaßnahmen hält.

Eine Betriebsschließungsversicherung soll den finanziellen Schaden einer Betriebsschließung abfangen.
Entscheidend hierfür:
- Schließung von externen, höheren Stellen veranlasst
- Versicherungsvertrag deckt den Schadensfall ab
- Ausreichende Schutzmaßnahmen dargelegt

KINEXON: Gehen Ihnen die derzeit in der Wirtschaft angewandten Maßnahmen weit genug, oder braucht es weitreichendere Maßnahmen?
Dr. Herbert: Soweit ich Einblicke erhalten habe, wurden die einzuhaltenden Schutzmaßnahmen von den Unternehmen gut und ausreichend an die Mitarbeiter herangetragen. Jedoch dauern die Maßnahmen schon eine Weile an und im täglichen Arbeitsablauf werden viele Pflichten schnell wieder vergessen. Das ist menschlich, führt aber dazu, dass gute Maßnahmen nur eingeschränkt umgesetzt werden.
KINEXON: Wie sollten Unternehmen darauf reagieren?
Dr. Herbert: Hinsichtlich weitergehender Maßnahmen sollte man den Worst Case durchdenken. Man sollte sich die Frage stellen, ob im Corona-Fall der Betrieb in Gänze geschlossen werden muss oder ob die bestehenden Maßnahmen dies verhindern können.
KINEXON: Um den Worst Case abzuwenden, setzen Unternehmen auf Abstands- und Hygieneregeln sowie Rückverfolgung von Infektionsketten. Was müssen Unternehmen hierbei rechtlich beachten?
Dr. Herbert: Die Abstands- und Hygieneregeln sind und bleiben die wichtigsten Regelungen. Die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zu anderen Personen ist vor allem dann zu empfehlen, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht vorhanden oder nicht möglich sind.
Zudem sollte ein Hygienekonzept von den Unternehmen ausgearbeitet sein. Aus diesem ergeben sich jedoch juristische Fallstricke. Zum Beispiel aus der Rückverfolgung von Infektionsketten.
Die Unternehmen sollten vor der Umsetzung ihrer Konzepte unbedingt die rechtlichen Grenzen prüfen lassen. Nicht jede Datenerhebung muss ein Mitarbeiter einvernehmen!
KINEXON: Gibt es – was die Rückverfolgung von Infektionsketten betrifft – neue rechtliche Entwicklungen?
Dr. Herbert: Mit der Pandemie wandelt sich derzeit vieles im Arbeitsrecht. So wird Mitarbeitern durchaus abverlangt, mehr Auskünfte zu erteilen. Zwei Beispiele: Wegen der verheerenden Infektionsgefahren geht man jetzt etwa davon aus, dass eine Corona-Ansteckung durchaus konkret mitgeteilt werden muss. Es reicht also nicht mehr aus, sich einfach „krank zu melden“.
Und auch wenn Mitarbeiter in Corona-Risikogebieten Urlaub machen, wird der Betrieb wohl einen Anspruch darauf haben, dass dies ungefragt mitgeteilt wird. Höchstwahrscheinlich kann der Betrieb verlangen, dass sich der Mitarbeiter einem Corona-Test unterzieht. Weigert sich der Mitarbeiter, kann die Arbeitsleistung abgelehnt werden – unbezahlt.
KINEXON: Beides kommt Unternehmen wohl durchaus entgegen. Worin sehen Sie hingegen juristische Gefahren? Etwa für Unternehmen, die Angestellte nicht ausreichend schützen?
Dr. Herbert: Diese Frage knüpft an die Frage an, welche Sorgfaltspflichten Unternehmer gegenüber ihren Mitarbeitern in der konkreten Situation haben. Dies ergibt sich aus dem Tätigkeitsfeld des Unternehmens, aber auch aus der persönlichen Konstitution des Arbeitnehmers.

Deutschland: Unternehmen muss beweisen, dass die Infektion nicht im Unternehmen stattfand.
USA: Infizierter Mitarbeiter muss beweisen, dass Ansteckung während der Arbeitszeit erfolgte.

Fehlender Schutz kann Ursache für Erkrankungen oder Schlimmeres sein. Hier stellen sich in der Folge Haftungsfragen:
Kann es hier zu einer Strafbarkeit des Unternehmers, beispielsweise wegen fahrlässiger Körperverletzung kommen? Kann der Angestellte ausreichende Schutzmaßnahmen verlangen? Drohen Geldbußen wegen fehlender Schutzmaßnahmen oder muss Schadensersatz für Behandlungskosten oder Schmerzensgeld geleistet werden?
Ganz klar: Der Gesundheitsschutz im Unternehmen ist nicht nur ein Thema für den Betriebsarzt. Die gravierenden Haftungsrisiken sind auch ein Thema für den Compliance Officer.
KINEXON: Wie hoch schätzen Sie das Risiko einer Klagewelle seitens Arbeitnehmer ein, die sich nicht ausreichend geschützt sehen?
Dr. Herbert: Es muss auch hier differenziert werden zwischen Rechtsschutz, der vorbeugend der Verbesserung von Schutzmaßnahmen dient, und solchem, der nachträglich Schadensersatz aus fehlendem Gesundheitsschutz geltend macht.
Hinsichtlich des vorbeugenden Rechtsschutzes sehe ich die „Gefahr“ der Klägerzahl eher als gering an, während die Konsequenzen für das Unternehmen im Einzelfall schwerwiegend sein können.
Nehmen wir den prominentesten Fall der Fleischindustrie, in der Mitarbeiter statt Rechtsschutz zu suchen an die Öffentlichkeit gegangen sind. Dies mag auch mit der finanziellen Hemmschwelle zu tun haben, sich vor Gericht zu begeben.
Ich denke, solche eklatanten Verstöße werden dennoch künftig sensibilisierte Mitarbeiter dazu bewegen, Rechtsschutz im Vorfeld zu suchen.
Aktuelle rechtliche Entwicklung (Stand: Juli 2020)



KINEXON: Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten derartiger Klagen ein?
Dr. Herbert: Auch hier kommt es darauf an, inwieweit Schutzmaßnahmen tatsächlich mangelhaft waren und welches Rechtsziel dabei verfolgt wird.
Hinsichtlich künftiger Schutzmaßnahmen, die es zum Schutz der Mitarbeiter umzusetzen gilt, dürfte ein Gericht wohl schneller eine Maßnahme anordnen. Abgewogen wird letztlich das Interesse des Unternehmers, den Betrieb wie bisher fortzuführen, mit der Frage des Gesundheitsschutzes des Mitarbeiters.
Wenn die angestrebte Maßnahme zweckmäßig und nicht ganz unverhältnismäßig ist, wird der Gesundheitsschutz wohl in der Regel den Vorrang genießen. Für nachträglich finanzielle Entschädigung kommt es zusätzlich auf die Frage des bezifferbaren Schadens an. Hier kann man ohne Blick auf den Einzelfall keine Aussage treffen.

KINEXON: Bei Hygiene- und Sicherheitskonzepten ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zentral und gewichtig — sprich: Was kann man Mitarbeitern zumuten und was nicht? Wie sollten Unternehmen idealerweise vorgehen, um diese Frage zur bestmöglichen Zufriedenheit aller zu klären? Gibt es einen bewährten Prozess?
Dr. Herbert: Von einem bewährten Prozess zu sprechen ist angesichts der sich stetig verändernden Situation nicht möglich. Auch die betrieblichen Erfordernisse sind so unterschiedlich, dass es hierauf nicht die eine Antwort gibt.
Auf dem Höhepunkt der Pandemie hat die Politik immer wieder geschworen, dass Deutschland im Lockdown „zusammenrücken“ müsse. So sehe ich das auch bei der Abstimmung von Hygiene- und Sicherheitskonzepten im Unternehmen: Wirklich alle Abteilungen müssen bei diesen Konzepten zusammenarbeiten.
Das Thema Gesundheitsschutz ist viel zu wichtig, um es zum Gegenstand üblicher Reibereien, beispielsweise zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung, zu machen.
KINEXON: Welche Informationsquellen empfehlen Sie Unternehmen zur Recherche für ihr Hygiene- und Sicherheitskonzept?
Dr. Herbert: Zunächst sollte die Verordnungsgebung im Blick behalten werden. Die Berufsgenossenschaften stellen umfangreiche Informationen zur Verfügung und bieten anschaulich Hilfestellung. Auch Links zu offiziellen Websites des Bundes und der Länder finden sich dort.
Ansonsten bieten die zuständigen Industrie- und Handelskammern weiterführende Informationen Dritter an und fassen wesentliche Informationen zusammen. Auch die jeweiligen Interessenverbände unterstützen ihre Mitglieder mit Checklisten und Tipps.

Gerade weil zahlreiche juristische Fragen rund um den Mitarbeiterschutz derzeit nicht eindeutig zu beantworten sind, sollten nicht nur alle Möglichkeiten zur Prävention bzw. Risikominimierung ausgeschöpft werden, sondern auch zur Dokumentation. Denn egal wie die Rechtslage ist: Sobald in einem Unternehmen ein Infektionsfall bekannt wird, müssen Unternehmen konkrete, wirksame Schutzmaßnahmen belegen und mögliche Infektionsketten sofort unterbinden.
Organisatorische, verhaltensbezogene und persönliche Schutzmaßnahmen wie sie das Stop-Modell aufführt, reduzieren zwar ein Ansteckungsrisiko, doch ob sie auch bei rechtlichen Auseinandersetzungen die notwendige Klarheit schaffen, ist fraglich. Auch hier haben technische Maßnahmen wie KINEXON SafeZone ihre Vorteile.

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